Der kleine Löwe

17. März 2014

Just in dem Moment, als ich losfuhr, um mit dir den letzten Weg zu gehen, prasselten die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe und ich dachte:

“Selbst der Himmel weint um dich. Vielleicht bereut er seine Entscheidung schon.“

Völlig in Gedanken versunken, fuhr ich meinem schwersten Gang entgegen … zu deiner Beerdigung.

Am Montag, den 17.03.2014, hast du den Kampf um dein noch so junges Leben verloren, der Krebs war stärker und niemand konnte dir mehr helfen. Die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten waren ausgeschöpft und ich durfte dich nur noch in den letzten sieben Wochen deines Lebens begleiten. Sieben Jahre jung bist du nur geworden.

An einem 7. wurdest du geboren, an einem 17. bist du gegangen, sieben Jahre durftest du leben und wir kannten uns sieben Wochen … diese Zahl scheint wichtig für dich gewesen zu sein …

Ich habe viel von dir gelernt, denn du bist ungeheuer tapfer mit deinem Schicksal umgegangen. Ich erlebe es immer wieder: ist ein Kind auch noch so krank, fragt man es „wie geht es dir“, dann ist die Antwort immer gleich: “gut!“

Und so war es auch bei dir.

Du hast alles ertragen, ohne zu klagen, obwohl du wusstest, was dir bevorsteht. Du hast uns von Engeln erzählt, die dich abholen und begleiten wollen, damit du keine Angst hast. Du bist mit hocherhobenem Haupt den Weg gegangen, der dir vorhergesehen war.

Für dich war es Erlösung, für die, die bleiben, bleiben nur Trauer, Leid, Wut und Tränen, Leere, Hilf- und Sprachlosigkeit …

Richtig verinnerlicht habe ich das, als ich vor der Beisetzung noch kurz in dein Zimmer ging. Ich folgte einem Impuls. Vielleicht wollte ich sicher gehen, dass du wirklich nicht mehr da bist. Ich suchte einen kleinen Moment, um mich in Gedanken von dir zu verabschieden, so ganz für mich allein.

Als ich in dein Zimmer kam, wusste ich im ersten Augenblick nicht richtig, meine Gefühle zu deuten. Dein Pflegebett war weg, an seiner Stelle standen wieder die Regale mit deinen Spielsachen. Es war, als ob du nur einen Moment dein Zimmer verlassen hast … aber du wirst nie wieder in dieses Zimmer zurückkehren.

Als ich dann in der Kapelle vor deinem kleinen weißen, von deinen Lieben bemalten Kindersarg saß, war dieser Moment völlig sinnentleert, ein luftleerer Augenblick. Das alles fühlte sich so falsch an, unwirklich.

Ich sah dieses Blumenmeer, all diese wunderschönen Blumengestecke, in Schmetterlings- und Herzformen, mit vielen bunten Blumen und weißen und roten Rosen und Schleifen, mit letzten Grüßen an dich.

Auf einer stand „Für den kämpfenden Löwen, der Spuren in unseren Herzen hinterlassen hat“, auf einer anderen „Deine Klassenkameraden“.

Die Kapelle war bis auf den letzten Platz gefüllt, immer wieder wurde die Stille von lautem Schluchzen durchbrochen, all diese Menschen weinten bitterlich um dich.

Und dann sagte deine Mami unter Tränen letzte Worte zu dir und bedankte sich, dass du ihr Sohn bist und wie wertvoll du für sie bist … in diesem Moment waren Trauer, Qual und Leid greifbar. Es gibt schlichtweg keine Worte, die die Menschen trösten können, die dich so sehr geliebt haben …

Hinter einem Kindersarg herzugehen, ist für jeden eine Erfahrung, die tiefe Spuren hinterlässt.

Ich sah den Aufkleber „Vettelheim“ auf deinem Sarg, und empfand es, wie einen letzten Gruß an mich.

Schließlich mussten wir den letzten Weg mit dir gehen, der vor deinem offenen Grab endete. Und auch hier hattest du wohl deine Finger im Spiel, du kleiner Halunke. Denn genau in dem Augenblick, als dein Sarg hinab gelassen wurde, öffnete der Himmel seine Pforten und ließ dicke Regentropfen auf uns niederprasseln.

Gleichzeitig peitschen uns Sturmböen um die Nasen und … Sonnenstrahlen brachen durch die dunklen Wolken.

Ich blickte nach oben und dachte nur: „Typisch Jason, der kleine Poltergeist!“

Ich möchte einfach daran glauben, dass du uns ein Zeichen geben wolltest, wieder ein: “Hey, es geht mir gut!“

Als ich dieses Gefühl später mit einigen anderen teilte, hörte ich, dass das auch viele andere so empfunden haben. Und dies ist auch das einzige, woran wir uns festhalten müssen … es geht dir jetzt gut!

Gemeinsam mit dir, werden wir versuchen, deiner Familie etwas Kraft zu geben und versuchen, ihr durch diese dunkle Zeit zu helfen. Das habe ich dir versprochen und ich habe auch vorgestern deine Mami in unseren Deal eingeweiht.

Mit deiner Hilfe werden wir uns um die Lebenden kümmern.

Ich bin sehr dankbar, dass ich dich auf deinem letzten Weg begleiten dufte und ich verneige mich vor dir, kleiner Löwe!

 

Deine Tina

Besuch am 07.März 2014

Hey kleiner Löwe,

vor sieben Wochen bist du mit den Engeln gegangen ... da ist sie schon wieder, die Zahl 7 ... es fällt mir erst in diesem Moment auf, wo ich es aufschreibe ... das ist doch kein Zufall!? Jetzt sitze ich hier, lächle und schüttle den Kopf. Du bist irgendwo da draußen und treibst immer noch deinen Schabernack mit mir, du kleiner Halunke

Vor sieben Wochen stand ich an deinem Grab und heute wieder, gemeinsam mit deiner Mami.
Es war ein sehr eigenartiges Gefühl .... unwirklich, unrealistisch ... darin liegst du nun.
Das ist gar nicht zu begreifen!
Das Blumenmeer ist verschwunden und vielen Erinnerungsstücken an dich gewichen.
So viele Dinge in Herzform und nun auch eins von mir.
Ein Foto von dir, Blumen und kleine Windmühlen.

Zeichen der Liebe von Menschen, die dich so sehr vermissen ...
Was mich sehr betroffen gemacht hat, war auch das kleine Kindergrab neben deinem. Winzig klein. Ich habe es nicht mal bemerkt, als wir dich beerdigen mussten.
Auch dort liegt ein kleiner Junge, er durfte nur wenige Tage alt werden. Das ist zwar schon fast 30 Jahre her, aber die Art, wie es gepflegt ist, zeigt mir, dass auch um diesen kleinen Jungen immer noch Eltern trauen ...
Und das wird auch deine Mutter um dich tun ... ein Leben lang.
Ich hoffe nur von ganzem Herzen, dass sie Schritt für Schritt zurück ins Leben findet ... dieser Weg scheint heute noch fast unmöglich, ist mit Felsbrocken gepflastert.

Wo immer du bist, kleiner Mann, wenn es dir möglich ist, schubs sie mal an!
Und ich nehme sie hier auf Erden an die Hand ... das kriegen wir schon hin

Deine "Vettelfrau"